Willkommen in der Welt von TPLE!
- Chris Seiler
- 1. Nov. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Wie aus einer Corona-bedingten Fernbeziehung eine Methode zum Wissensmanagement von komplexen Produkten entstanden ist
In diesem Blog möchte ich Euch Hintergrundinformationen zur von Klaus Anwender und mir erschaffenen Methode Typebased Product Line Engineering (TPLE) geben. Nachdem ich in den ersten Blogbeiträgen den Status Quo beschrieben die Benefits von TPLE erklärt habe, möchte ich in diesem Beitrag etwas über "wie hat alles angefangen" schreiben.

Mein Name ist Chris Seiler, ich bin Software Ingenieur bei Mercedes-Benz Research & Development in Sindelfingen und meine Motivation ist es, an der Realisierung des software-definierten Vehicles (SDV) mitzuwirken.
Die vollständige Beherrschung der Softwaredomäne ist aus meiner Sicht der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Mir ist es wichtig, dass unsere Kinder und deren Kinder in einer lebenswerten Umwelt und Gesellschaft aufwachsen können.
Dazu gehört selbstverständlich neben den ökologischen Aspekten auch die wirtschaftlichen.
Um das Thema Software in der Automobilindustrie beherrschbar zu machen, bedarf es grundlegener Änderung im "Way of Working" in den Entwicklungsabteilungen der OEMs und der Zulieferer. Im Grunde gilt es eine Frage zu beantworten: wie gehe ich mit der wachsenden Komplexität um? Sehr schnell sind wir dann beim Thema Datenmanagement - es gibt da einige Blaupausen, die von einer "data centric enterprise" oder einer "data driven architecture" sprechen. Genau das ist der richtige Ansatz!

Was bedeutet das nun im Alltag unserer Entwicklerkolleginnen und -kollegen? Was bedeutet das für die anderen Fachbereiche, wie Marketing/Sales, Produktmanagement, Einkauf, Produktion, After Sales Service ... ?
Genau dafür haben wir eine Antwort, und die lautet: TPLE. Ich hoffe das gibt Dir eine Vorstellung davon, was Dich in den nächsten Blogbeiträgen erwartet.
Wie kam es zur Entwicklung von TPLE?

Ich weiss noch ganz genau, wie ich Klaus in einigen MS Teams Sessions Anfang 2021 mit ganz vielen Teilnehmern zum ersten Mal gehört habe (gesehen lange nicht, denn er hatte seine Kamera immer ausgeschaltet). Er hat auf mich immer ein wenig arrogant gewirkt, weil er konkrete und unbequeme Fragen aus Sicht eines System Engineers gestellt hatte. Zudem hatte er ein Profilbild hinterlegt, das mich immer an Thorsten Legat erinnerte. Aber mit der Zeit bin ich hellhörig geworden als ich Klaus genauer zugehört hatte. Und diese Begegnung mit Klaus hat mein Leben verändert.

Er hatte eine Studienarbeit mit dem Titel verfasst: "Product Line Engineering - Featuremanagement (objektorientiert und merkmalbasiert)" und wollte diese für die Abschlussprüfung zum „Certified Systems Engineer (GfSE) “ ® Ebene A einreichen. Leider wurde seine Arbeit nicht anerkannt und somit wurde aus dem Abschluss nichts.
Da wir parallel dazu in MB.OS bereits eigene Ansätze zur Wiederverwendung von Wissensfragmenten entworfen hatten, sind mir etliche Dinge aus Klaus' Arbeit sehr bekannt vorgekommen. Und seit dieser Zeit haben wir das Thema gemeinsam rund gemacht, vervollständigt, hinterfragt, Werbung dafür gemacht, Klingel um Klingel um Klingel geputzt. Und in diesem Modus arbeite ich immer noch.
Wir haben TPLE als Input von Mercedes-Benz in das Forschungsprojekt SofDCar eingebracht, das von Mitte 2021 bis November 2024 lief. Ein Schwerpunkt neben der Beherrschung der Produktvarianz ist der vollständig digital durchführbare Homologationsprozess bei reinen softwarebasierten Featureupgrades. Dies ermöglicht die Umsetzung einer Continous Homologation - das zugehörige Whitepaper ist im Rahmen der digital.auto Initiative entstanden und kann hier heruntergeladen werden.
Klaus ist mittlerweile seit Herbst 2023 in passiver Altersteilzeit, er ist aber weiterhin "The TPLE Brain" und steht als TPLE Experte über die Firma UserKnowHow zur Verfügung - hier gehts zum Kontaktformular.
Während der kompletten Corona Pandemie haben wir uns fast täglich via MS Teams ausgetauscht und gemeinsam das TPLE Konzept ausgearbeitet und zum Leben erweckt.
Dank Startup Autobahn habe ich SPREAD entdeckt

Im Juli 2021 war die Startup Autobahn Expo. Aufgrund der Corona Pandemie fand diese Veranstaltung nur Online statt. Ich bin auf das Projekt How a Product Intelligence Platform Accelerates a Cross-Functional Digitalization Initiative by Creating an Exact Representation of All Engineered Products aufmerksam geworden - warum? Weil der Ansatz von SPREAD.ai - das Wissen der Ingenieure in ein graphenbasiertes Datenmodell zu bringen und damit eine semantische Struktur zu schaffen - derselbe ist wie bei TPLE. Im konkreten Projekt ging es darum, die unterschiedlichen Datenquellen wie Konstruktionsdaten des Leitungssatzes zusammen zu bringen mit 3D Daten und Diagnosedaten, um damit bei Fehlerfällen in der Produktion dem Mensch sehr schnell die möglichen Ursachen aufbereiten zu können.
Was mich dabei sehr fasziniert hat, war die Erkenntnis, dass der Leitungssatz in der E/E Vernetzungswelt eine ähnliche Rolle hat wie die Variantencodierung in der Softwarewelt: beide integrieren generisch gebaute Komponenten (E/E: die Steuergeräte Hardware, Software: die Codeblöcke der Steuergeräte Software) in den individuellen Kontext des aktuell gebauten Fahrzeuges.

Die erste prototypische Umsetzung von TPLE haben wir im April 2022 zusammen mit SPREAD.ai gestartet. Wir haben aber schnell gesehen, dass häufige Änderungen am Datenmodell dazu geführt haben, dass die Entwickler sehr schnell an ihre Grenzen der klassisch programmierten Frontend-Anwendung gekommen sind. In dieser Zeit haben wir jedoch sehr viel gelernt und haben das TPLE-Konzept ständig hinterfragt und weiterentwickelt. Die zentralen Player von SPREAD.ai in diesem Projekt waren Philipp Noll, Daniel Metzinger, Daniel Wilms und Frederik Günther. Unterstützt wurden wir damals von Valerij Asmus und Marcel Engelmann von Mercedes-Benz Management Consulting.
Parallel dazu haben uns die Berater von NTT Data bei der Bewertung des Reifegrads von TPLE unterstützt - zentrale Player waren Leonid Borodulkin, Matthias Fickler, und David Pastor Sampedro.
Im Dezember 2022 habe ich durch Initiative von Achim Nonnenmacher von Bosch Dirk Slama kennengelernt. Auch diese Begegnung hat mein Leben nachhaltig verändert. Dirk ist der Kopf und Treiber hinter der Konferenz Bosch Connected World, Initiator und Kopf hinter der digital.auto Initiative. Parallel dazu ist er Professor am Ferdinand-Steinbeis-Institut in Heilbronn. Wie die Geschichte mit Dirk und digital.auto weiter geht, schreibe ich in einem separaten Blogbeitrag. Er ist mittlerweile der wichtigste Supporter für die TPLE-Idee den ich bislang finden konnte.

Zurück zur Kooperation mit spread: mit dem Stand des spread-basierten TPLE Managers haben wir im November 2023 die Hack-Challenge "Welcome Scenario" ausgerufen - meinen Erfahrungsbericht habe ich auf LinkedIn in diesem Artikel zum SofDCar Hackathon verfasst.
So hat uns Christian Neusius aus der Patsche geholfen
Ende des Jahres 2022 haben Klaus und ich festgestellt, dass wir einen kompletten Neustart machen müssen - beginnend mit einem weissen Blatt Papier müssen wir die technische Umsetzung von TPLE von Grund auf sauber aufsetzen. Aufgrund früherer Zusammenarbeit kannten sich Klaus und Christian Neusius sehr gut, und ich habe Christian im Februar 2023 kennengelernt. Wiederum hat diese Begegnung mein Leben nachhaltig verändert. Tatsächlich konnten sich die beiden 5 Wochen im Sommer 2023 virtuell einschliessen und das TPLE Datenmodell von Grund auf sauber entwickeln.

Und Christian Neusius konnte innerhalb weniger Wochen mit Hilfe seines Codegenerators eine Cloudnative App incl. Graphdatenbank und GraphQL API im Backend und ein Typescript-basiertes Web-Frontend bauen -> der TPLE Manager Reloaded ist dabei entstanden.

Bei Änderungen bzw. Erweiterungen im Datenmodell sind wir nun in der Lage, mittels Knopfdruck alle davon abgeleiteten Artefakte neu generieren zu lassen. Dies gibt uns mehrere Vorteile: eine sehr hohe Geschwindigkeit und damit eine sehr hohe Flexibilität bei gleichzeitig sehr guter Qualität zu einem überschaubaren Preis, weil manuelle Arbeit in diesem Workflow so gut wie nicht mehr vorhanden ist.
Wir gestalten die Welt von TPLE
Seit nunmehr fast vier Jahen arbeiten Klaus und ich zusammen am Thema TPLE und wir sind schon sehr weit gekommen. Das Forschungsprojekt SofDCar ist in seiner finalen Phase und es stellt sich die Frage: Quo vadis TPLE?
Ich sehe hier zwei Handlungsstränge:
TPLE in die Serienanwendung zu bringen Aus meiner Sicht kann SDV nur funktionieren, wenn wir branchenweit TPLE nutzen. Dafür müssen wir als ersten Schritt das TPLE Datenmodell z.B. bei Eclipse SDV als neues Open Source Projekt platzieren. Flankierend dazu brauchen wir konkrete Use Cases mit konkretem Mehrwert, damit die Unterstützung für eine TPLE-basierte Zukunft wachsen kann.
Offene Forschungsfragen in weiteren Forschungsprojekten beantworten Es ist zum Beispiel noch nicht klar, wie wir von der heutigen, mengen- und regelbasierten Variantenmanagement-Logik kommend zu einem Zielbild kommen, bei dem TPLE das zentrale Variantenmanagement für Software realisiert, und die hardwarebasierte Varianz mittels Coderegeln intelligent integriert werden kann.
Was denkt Ihr über die Zukunft von TPLE? Welchen Nutzen könntet Ihr in Eurem Kontext davon haben, wenn Ihr TPLE zur Verfügung hättet? Hinterlasst gerne einen Kommentar oder schickt mir eine Nachricht. Stay tuned for more to come soon!
Und nicht vergessen: keep on rocking in a free world!
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